Unser 2 1/2 jähriger Malinoismix Connor hatte eine Radfahrerin ins Bein gebissen,was uns zutiefst schockte.
Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Erklärbar, gleichzeitig unentschuldbar : Unser Hund verletzte einen Menschen. Wir brauchten Antworten.
2 Stunden nach dem Unfall waren wir bei Karin und Daniel, um einen Maulkorb zu besorgen und Maßnahmen zu besprechen.Connor zog kurze Zeit später für 10 Tage zu Daniel, wurde kompett in dessen Haushalt und Rudel integriert, zu all den unterschiedlichen Trainings und Terminen mitgenommen, hatte viel Kontakt zu immer neuen Menschen und Hunden.
Nur so konnte durchgehende Beobachtung, Analyse und Ursachenforschung umgesetzt werden. Daniel arbeitete intensiv mit Connor, der in dieser Zeit kein agressives Verhalten zeigte. Jedoch wurden aufgestaute Frustrationen festgestellt. Ihm fehlte ein adäquater oder auch dominanter Raufkumpan, an dem er sich reiben konnte. Wieder zu Hause, wurde Connor komplett neu aufgestellt; wir mußten einen anderen Umgang mit ihm praktizieren. Jeder Spaziergang wurde zu einem Lehrgang, im Haus galten andere Regeln als vorher. Da Connor klug und lernbegierig ist, klappte das prima.
Wegen des Beißvorfalls wurden wir angezeigt und Connor vom Ordnungsamt zum Wesentest vorgeladen. Bis dahin erhielt er die Auflage, nur noch mit Maulkorb und an einer 1,5 mtr langen Leine zu laufen.
Wir wußten nicht, was uns bei diesem Test erwartet, hörten und lasen viele Dinge darüber, die teils beängstigend waren, uns verunsicherten. Allein die Vorstellung, diesen jungen und ganz sicher nicht bösen Hund traurig mit Maulkorb und Kurzleine neben mir hertrotten zu lassen – und das vielleicht lebenslänglich – brach mir fast das Herz.
Wir trainierten. Gemeinsam mit Karin, Daniel und vielen freiwilligen Helfern belasteten wir Connor wieder und wieder. Konfrontierten ihn mit allem, was bei einem Wesenstest vorstellbar ist. Jede Kommune gestaltet dies anders, also bereiteten wir uns auf möglichst viele Szenarien vor. Vereinsamungsübungen, bei denen Radfahrer, Jogger, Verkleidete, Vermummte, krachschlagende, schreiende, torkelnde Menschen auf ihn zukamen, ihn bedrängten. Klappernde Plastikbehälter, vor ihm auf den Boden geworfene Schlüssel oder Kladden, sich plötzlich vor seinem Gesicht aufspannende Schirme, lärmende Kinder, Skateboarder, schnelle Bewegungen. Ein Kreis aus laut rufenden Menschen mit erhobenen Armen, der sich ganz eng um ihn schloß, Leute, die ihn dabei mit den Kien berührten, sich über ihn beugten, ihn von oben betatschten…das ganze Programm.
Und immer wieder Radfahrer, die dicht an ihm vorbeischnellten. Von vorne, von hinten, seitlich. Connor durfte alles tun – bellen, sich zurückziehen, jaulen – alles, NUR nicht nach vorne gehen. Anfangs versuchte er es, weil er unsicher war und wurde korrigiert. Dann begriff er, nahm sich zurück. Daniel und Karin haben es geschafft, die richtige Reaktion in seinem Gehirn zu installieren, ohne Agressivität oder Strafe. Es war eine Kombination aus „wenn-dann-sonst“, Neutralität, Ruhe und jede Menge Zuspruch, Streicheleinheiten und Belohnung nach jeder Übung. Und zwar von jedem, der ihn vorher „geärgert“ hatte.
Der andere Aspekt war, die hochenergetischen Hunde aus der Resozialisierungsgruppe zu nutzen. Hier lernen die Hunde, daß es außer Zähnen und beißen alternative Strategien zur Konfliktlösung gibt. Connor saß zunächst recht ideenlos und unglücklich mit seinem Mauli in dieser Gruppe, fügte sich dann aber ein und agierte problemlos mit den Powerpaketen. Er zeigte sich oft eher konfliktscheu, ging Konfrontationen aus dem Weg.
Dann kam der Tag, der über seine Zukunft entscheiden würde. Beim Test waren 5 Hunde zugegen; das Ganze dauerte etwa 3,5 Stunden. Die Kandidaten wurden vorgestellt, berührt, bedrängt, die Halter befragt zu Beschäftiung und Auslastung. Es gab Vereinsamungsübungen, bei denen ich aus Connors Sichtfeld treten mußte, während die anderen Hunde dicht an ihm vorbeigeführt wurden oder der Prüfer etwas testete. Fremde Menschen mit ihren Hunden kamen mit Körperspannung im Stechschritt auf uns zu, während Connor neben mir in Fuß-Grundstellung verharren mußte. Der sich schließende Personenkreis, diverse Übungen in einer belebten Innenstadt, Autos, ein Zug. Übungen in Unterordnung, Situationen mit Enge, etc.
Als auf einer schmalen Treppe Connor und ein anderer Rüde aneinander vorbeigeführt wurden und der andere Hund ihn angriff, traf Connor die richtige Entscheidung. Er zog sich zurück, bis er die Betonwand buchstäblich im Rücken hatte. Erst dann verteidigte er sich. Diese haarige Situation wurde sofort vom Prüfer beigelegt.
Connor bestand den Test ohne Wenn und Aber. Er erreichte Maulkorb-und Leinenbefreiung und ich war und bin unendlich stolz auf ihn.
Wenn ich zurückblicke, weiß ich drei Dinge:
* Die Zeit bis zur Prüfung war für uns beide in psychischer wie auch physischer Hinsicht knochenhart. Manchmal habe ich die Belastungen kaum ertragen, weil mein geliebter JUNGE da stand und die Welt nicht mehr verstand. Es tat weh, ihn so zu sehen. Ich erinnere mich an jede Minute, als sei es gestern gewesen.
*Diese Zeit war wichtig. Heute sehe ich, daß Connor nicht für den Test, sondern für´s Leben gelernt hat und jeden Tag davon profitiert. Wir erfuhren durch einen Unglück, was ihm fehlte. Heute hat er einen Kumpel, mit dem er nach Herzenslust balgt und rauft. Er ist gelassener , entspannter , gereift.
* Ohne Karin und Daniel und ihre vielen Helfer, ohne den unermüdlichen Einsatz und das tiefe Verständnis für Hunde im Allgemeinen und Connors Wesen im Besonderen wäre dies nicht möglich gewesen. Connor hat sich seine Freiheit redlich verdient und ist an dieser Aufgabe gewachsen.
Danke für alles !
Connor und Claudia